Meinungsfreiheit im medizinischen Diskurs – eine aussterbende Spezies?
In den letzten zwei Tagen habe ich wieder einmal hautnah erlebt, wie es um die Meinungsfreiheit im medizinischen Diskurs bestellt ist. Da äußere ich mich zum Thema Diabetes, und prompt meldet sich ein junger Kollege zu Wort. Nicht etwa, um in einen direkten Austausch einzusteigen, sondern um meine Aussage öffentlich kurzerhand als „falsch“ abzutun. Zugegeben, meine Art der Kritik war vielleicht für viele nicht ganz passend. Mit einem Augenzwinkern gemeint, fanden es einige sehr lustig, andere wiederum weniger. Über die Art und Weise meiner Kritik kann man sich sicherlich streiten. Doch lassen wir die Form einmal beiseite und kommen zum Inhalt. Was mich besonders nachdenklich stimmt, ist die blinde Hörigkeit gegenüber Studien: „Gibt es eine Studie dazu? Wer hat das belegt?“ Diese Fragen sind legitim, doch wer nur Studien glaubt, vergisst oft, wie diese zustande kommen.
Hier ein kleiner Denkanstoß: Studien sind nicht automatisch neutral. Man muss sich immer fragen, wer sie finanziert und ob der Auftraggeber vielleicht ein bestimmtes Ergebnis wünscht. Die Pharmaindustrie ist Meister darin, Studien so zu designen, dass sie ihre Produkte in bestem Licht erscheinen lassen. Und ja, es gibt auch wissenschaftliche Erkenntnisse, die ohne Doppelblindstudie auskommen, basierend auf Erfahrung und Beobachtung. Das scheinen einige unserer Nachwuchskräfte jedoch zu vergessen.
Noch beunruhigender ist ein aktueller Fall aus Österreich: Ein Molekularbiologe, der während der Corona-Zeit vermeintliche Verschwörungstheorien entlarvt hat, hat nun eine kritische Äußerung zur HPV-Impfung direkt bei der Ärztekammer angezeigt. Kritische Meinungen werden also nicht diskutiert, sondern denunziert. Und hier frage ich mich ernsthaft: Wie soll ein wissenschaftlicher Diskurs gedeihen, wenn abweichende Ansichten sofort an den Pranger gestellt werden?
Viele Menschen wundern sich, warum „alle Ärzte das Gleiche sagen“. Die Antwort liegt auf der Hand: Abweichungen vom Mainstream-Narrativ werden systematisch sanktioniert. Faktenchecker und selbsternannte Wahrheitswächter lauern nur darauf, jede noch so kleine Abweichung zu brandmarken. Wer will sich da noch in den Sturm der Kritik wagen?
Ich kann mir das vielleicht erlauben, weil ich mir im Laufe meines Lebens ein dickes Fell zugelegt habe. Doch was ist mit den jungen Kollegen? Wo bleibt der Mut, auch mal unbequeme Fragen zu stellen? Wissenschaft lebt von Diskurs, von der Reibung zwischen unterschiedlichen Meinungen. Konsens ist wichtig, doch Dissens ist es ebenso. Nur so entsteht echte Erkenntnis.
Und mal ganz ehrlich: In der Wissenschaft ist es nichts Neues, dass die „Wahrheit“ von heute die Fehleinschätzung von morgen sein kann. Wir haben es in den letzten Jahren immer wieder gesehen. Genauso wie ich mal falsch liegen kann, kann auch das vorherrschende Narrativ irren. Es wäre wünschenswert, wenn wir alle den Mut hätten, das offen einzugestehen – und uns gegenseitig mit Respekt und Offenheit begegnen würden.
Mein Appell: Lasst uns den wissenschaftlichen Diskurs wiederbeleben. Erlaubt andere Sichtweisen. Und habt den Mut, auch einmal zuzugeben, wenn ihr falsch liegt. Denn nur so kommen wir wirklich weiter.
Übrigens, die Namen der beiden Kollegen, die hier involviert sind, werde ich bewusst nicht nennen. Wir sind schließlich weder Politiker noch Personen in öffentlichen Ämtern, bei denen eine breite Öffentlichkeit jede Aussage bewerten müsste. Ich finde, man kann und sollte den Diskurs erst einmal auf persönlicher Ebene führen, bevor man ihn in die breite Öffentlichkeit trägt. So bleibt Raum für einen respektvollen Austausch, ohne dass gleich eine große Bühne daraus wird. Letztlich geht es doch darum, voneinander zu lernen und gemeinsam weiterzukommen – und das gelingt am besten in einem offenen, direkten Gespräch.