Zum Tod von Jimmy Carter
Der große Unbekannte
Von sich selbst sagte Jimmy Carter, er sei kein guter Präsident gewesen. Doch nach seiner Amtszeit gewann er Ruhm und Ehre – und auch den Nobelpreis.
Jimmy Carter versuchte, ein guter Mensch zu sein. Seine Moral gründete in seinem Christentum, über das er wie über eine Selbstverständlichkeit redete. Für ihn war Gott keine transzendente Instanz, unerforschlich und fern, sondern ein naher Verwandter, mit dem man innige Gespräche führt. Er sagte, er habe dafür gebetet, dass ihm ein friedliches Ende beschert sein möge: "Ich bat Gott nicht darum, mich leben zu lassen, aber ich bat ihn um eine richtige Haltung gegenüber dem Tod. Und jetzt lebe ich vollkommen und vollständig entspannt auf den Tod hin."
Im Leben von James Earl Carter, den jedermann Jimmy nennen durfte und musste, waren die letzten Dinge stets gegenwärtig. Die Gläubigkeit geht im amerikanischen Süden tiefer als an den Küsten Neuenglands und Kaliforniens – im Guten wie im Schlechten. Sie verursachte auch den Rassismus, der vergangenen Jahrhunderten anzugehören schien, wie man denken könnte. Was für ein grundlegender Irrtum! Diese Ursünde der Gründung Amerikas scheint nicht zu vergehen und nichts an diesem Land lässt sich weniger verstehen als die Segregation, also die Rassentrennung, oder der Ku-Klux-Klan.
Ein bekehrter Rassist
In seinen Anfängen schlug sich Jimmy Carter auf die Seite der Rassisten. Als er 1970 zum ersten Mal Gouverneur von Georgia werden wollte, suchte er die Unterstützung von George Wallace, einer der übelsten Figuren, der sich gegen die Aufhebung der Rassentrennung im Süden wehrte, als sei sie des Teufels. Wie Carter diese Verirrung aus Opportunismus seinem Gott erklärte, wüsste man gern.
Jimmy Carter (l.) neben George Wallace.
Als er Gouverneur war, verwandelte er sich in den Menschen, den wir kennen. Er sagte, die Rassentrennung sei Vergangenheit. Mit diesem Satz war er, man glaubt es kaum, der erste Amtsinhaber im Süden, der Selbstverständliches aussprach. Als er im Jahr 1976 zum Präsidenten gewählt wurde, war er wiederum ein Phänomen, nämlich der erste Amtsinhaber aus dem tiefen Süden seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg.
Ein ungewöhnliches Duo
Er war der große Unbekannte. Der Erdnussfarmer aus Georgia mit seiner Frau Rosalynn, ein Duo. Sie war Ratgeberin des Präsidenten und das zu einer Zeit, als die Ehefrau noch meist als Dekor des Mannes gesehen wurde. Das Paar bildete eine Symbiose und nichts wäre schöner für die beiden gewesen, hätte ihr Gott sie zusammen heimgeholt. Aber Rosalynn starb zuerst, am 19. November 2023, mit 96 Jahren.
Ihr Mann Jimmy war ein gläubiger Mensch in einer zynischen Zeit. Als er Präsident wurde, lag der Rücktritt Richard Nixons nur zwei Jahre zurück, der Vietnamkrieg nur ein Jahr. Die Veteranen kehrten heim in ein Land, das nichts von ihnen wissen wollte. Hatten sie doch einen Krieg verloren, in dem sie unfassbar überlegen waren, was ihnen aber nichts nutzte.
Jimmy Carter war nicht zynisch. In diesem geschichtlichen Augenblick war er das Beste, was seinem Land passieren konnte. Amerika war zwar eine Weltmacht, die aus den falschen Gründen falsche Kriege führte, aber es war auch eine Nation, die sich nach Erlösung sehnte. Carter bot Erlösung an und deshalb durfte er im Januar 1977 ins Weiße Haus einziehen.
Gottesfürchtige Provinzgröße
Damals begannen zwei Entwicklungen, die bis heute andauern: Amerika wählt, erstens, einigermaßen zuverlässig das genaue Gegenteil des jeweiligen Amtsinhabers. Nixon war ein Ganove, Carter ein Gottesfürchtiger. Und, zweitens, besiegen unbekannte Größen aus der Provinz, die ultimativen Washington-Insider: nach Carter kamen Bill Clinton und Barack Obama, aber auch Donald Trump.